Mittwoch, 17. Juli 2013

Die "Loyalisten" - auch nicht friedlicher als die "Republikaner"

Willkommen in Ost-Belfast
So nett wie von den drei maskierten Herren an der Hauswand wird man an nicht vielen Orten der Welt begrüßt. Wir sind in Ost-Belfast gelandet. Dieses durch und durch protestantische Viertel ist wohl das Gegenstück zur katholischen Bogside in Derry, oder, wie die Briten sagen, Londonderry. Die drei Pilger mit den automatischen Waffen sollen allen Katholiken zu verstehen geben, dass sie keine Chance haben, wenn sie sich hier aufhalten und ihre "Freie Irische Republik" proklamieren wollen. Ausgerechnet in dieser Woche ist der Jahrestag der Schlacht von Boyne, an dem der Oranierorden aufmarschiert, um an den Sieg der Protestanten über die Papisten zu erinnern. Das Schild am Hafen mit der Aufschrift "No popery", das jeden Besucher aus (dem katholischen) Schottland begrüßt, sagt es auch klar, dass Katholiken unerwünscht sind, jedenfalls solange man um die protestantische britische Exklave auf der Insel fürchten muss. 

Als wir tagsüber durch East Belfast laufen, sind bereits sechs Nächte lang hier Unruhen gewesen. Begonnen hatte es mit dem Aufmarsch, der von den Katholiken als Provokation angesehen wird. Am nächsten Abend verpassen dann die Katholiken den Protestanten einen "Denkzettel", indem sie Autos anzünden oder Polizisten angreifen. Dies wiederum lassen dann die Briten nicht auf sich sitzen und rächen sich in der nächsten Nacht. Und so weiter und so weiter. 



Mit Religion oder gar mit Glauben hat das sicherlich nichts zu tun. Die meisten Häuser der Eastside sind mit Parolen versehen, auch zum Frieden wird bei einigen von ihnen aufgerufen. Viele allerdings sind martialisch und die meisten nicht ohne künstlerische Note. Die Kirchen tun wahrscheinlich ihr Bestes. Messen werden reichlich gelesen, auch die Pfingstler und Presbyteranier haben am Brennpunkt der Unruhen ihre Kirchen gebaut. Ob jemand sich zum Frieden rufen lässt? Die Polizei fährt an uns mit sechs schwer gepanzerten Fahrzeugen vorbei. Wir haben unseren Wagen mit dem für uns nicht gerade vorteilhaften irischen Nummernschild vor einer evangelischen Kirche abgestellt, in der Hoffnung, dass ihn dort niemand findet, auch nicht die Polizei, die möglicherweise vermuten könnte, dass sich in dem Fahrzeug eine Bombe befindet. Während die Einen sich für die nächste Nacht rüsten, die Polizisten an den Straßenecken in Dreiergruppen die Bevölkerung und den Verkehr beobachten und die Mütter einkaufen gehen, schließen schon die ersten Geschäfte früh am Nachmittag. Eine eiserne Jalousie wird herunter gezogen und damit es nicht allzu kriegsähnlich aussieht, sind die Hälfte dieser Jalousien mit einer Art Fototapete versehen, die den Laden dahinter zeigt, so als ob man ins Schaufenster schaut. 








Wir fragen uns, ob sich die Briten, die ja auch seit Hunderten von Jahren hier leben, sich angesichts dieser Lage irgendwann geschlagen geben werden, auch wenn sie sowohl in Derry wie auch in East Belfast "No surrender" proklamieren. Auf dem Rückweg in unser Quartier in Lisburn fällt uns auf, dass viele Bezirke und auch manche Dörfer mit einem stabilen Zaun umgeben sind. Die Verkäufer von britischen Union-Jack-Flaggen machen wahrscheinlich gerade um die Zeit der Oranier-Umzüge das Geschäft des Jahres. Manche Orte werden von britischen Flaggen geradezu ertränkt, was wohl das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken soll. Irgendwie werden wir an die "Andrew's Barracks" in Westberlin zur Zeit des Kalten Krieges erinnert, wo die amerikanischen Freunde sich in ihr Ghetto zurückzogen und kaum Gemeinschaft mit der Berliner Bevölkerung hatten. Ähnlich kommen uns die Briten in Nordirland vor. Gewiss, sie zeigen Flagge, und das sehr ordentlich. Sie sind unter sich und wollen unter sich bleiben. Für den nächsten Aufmarsch trifft man sich in einer Bar mit einem großen Parkplatz. Ein Happening wie eine (katholische) Prozession. Vielleicht haben die Briten und die Iren doch mehr gemeinsam, als sie selbst es für möglich halten ...?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen